Was macht man eigentlich, wenn man als selbsternannter Musikjournalist eine Band seit nunmehr fast 20 Jahren verfolgt? Wenn diese Musik einen in allen guten und allen schlechten Situationen begleitet hat und es trotz einer so langen Zeit immer wieder schafft, sich einen Weg in die heimlichen elektronischen Musikabspielungsinstrumente und Wiedergabelisten zu schmuggeln? Kann man da noch objektiv einschätzen, wie diese Musik wirklich ist?
Und wie schon vor einigen Jahren beim Review von LPG Campus habe ich beschlossen, dass die einzige Antwort darauf ein herzerfrischendes: „Scheiß der Hund drauf!“ ist.

Mit ihrem neuen Album „Abwärts“ schaffen die feinen Berliner Herren von Coppelius nämlich etwas, dass in der Musikindustrie meiner Meinung nach in den letzten Jahren echt kurz kommt: nämlich sich selbst treu zu bleiben und gleichzeitig irgendwie „neu“ zu erfinden. Da ich – wie man an Wortwahl und Ausdruck ja erkennt – ein absoluter Vollprofi bin, werde ich versuchen, euch zu erklären, wie ich zu solchen Stussaussagen komme und warum „Abwärts“ das neue Aufwärts ist!

Das mittlerweile 7. vollwertige Album der Coppelianer stellt zugleich das Jubiläumsalbum für 220 Jahre Bandgeschichte dar. Dabei scheinen die – selbstredend geheimen – Rezepturen von Faltencreme, Gymnastikübungen und Agilitätssteigerung hervorragend zu wirken, denn Coppelius klingen nach wie vor kraftvoll, frisch und spritzig, wie sie es schon auf den ersten Promowerken im jungen Alter von ca. 200 Jahren klangen. Auch textlich ist es gewohnt düster, humorvoll und abenteuerlich, so wie auch nachdenklich oder romantisch. Diese Band ist vielseitiger als ein 20-Seiten-Würfel aus der letzten „Dungeons und Dragons“ Box und hat über die Jahre ziemlich beeindruckend gezeigt, wie man diese Stärke am besten präsentiert. In 45 Minuten durchlebt man als geneigter Hörer Herzschmerz, Gelächter, Grusel oder auch einfache „primitive“ Tanzwut. Musik für Herz, Beine und Kopf. Dabei fällt allerdings auch auf, dass die Herren rund um Diener Bastille nach 2 gemeisterten eigenen Opern (!), sich insbesondere klanglich mehr in Richtung „Komponieren“ als „Songs schreiben“ bewegt haben. Die Stücke wirken super arrangiert, durchdacht und irgendwie „vollendet“. Keine Spur mehr von „coppelianischen Disharmonien“, wie die Band vor ein paar Jahren über die eigene Musik sang.

Den Beginn markiert das starke und treibende „Rainmaker“, gefolgt vom super einprägsamen „Nur für dich“. „Mein Grab“ ist angenehm morbide und ich warte zu diesem Zeitpunkt nach wie vor darauf, dass es das Motiv dieses Songs als Rumpfkluft geben wird! Das super witzige „Eeee“ und das fette Slayer-Cover „Bloodline“ folgen, welches meiner Meinung nach die Liste „Songs-die-Coppelius-besser-covern-als-sie-schon-im-Original-sind“ um einen weiteren Eintrag länger macht. Zwischen diese beiden Songs mogelt sich noch „Si Dolce“ – ein wirklich schöner Song, der für mich aber irgendwie nach Abschied klingt. Eine Sache, über die ich im Zusammenhang mit dieser Band in etwa so gerne nachdenken möchte wie über die nächste Magen-Darm-Erkrankung.
Den Mittel- und auch den musikalischen Höhepunkt bildet anschließend „Kryptoxenoarchäologie“: wundervoll düster, lyrisch und mit grandiosem Lovecraft-Vibe ist dieser Song für mich der stärkste der ganzen Scheibe.

„Doch was uns dann dort unten fand, raubte allen den Verstand. Mich allein ließ es noch am Leben, um zu verkünden: Es wird keine Zukunft geben! Und so steh ich nun vor dem Publikum, mit leeren Augen, im Delirium, die Finger schwarzgefroren, wie Kohlen und warne: ES KOMMT EUCH HOLEN!“

Schneller“ widmet sich mit perfektem Augenzwinkern der Schnelllebigkeit und kann wohl getrost auf die heutige Gesellschaft bezogen werden. „I hate“ ist ein Song, der zwar ganz witzig scheint, mir aber nicht weiter viel gibt. Dies liegt aber vielleicht auch daran, dass „Alte Freunde am Kamin“ dermaßen eingängig und sympathisch klingt (und ja, ich weiß, dass das ein seltsames Adjektiv für Musik ist), dass man im Kopf sofort die eigenen Gespräche im Kaminzimmer mit alten Freunden durchgeht und plant. „Spiesser“ wirkt wie eine ulkige Hymne für eine „Subkultur“, die man so wohl noch nie besungen hat. Mit dem wunderschönen „Dark Ice“ enden schließlich 45 Minuten, in denen man von absolut großartiger Musik völlig vereinnahmt wird. Ein Highlight habe ich jedoch bewusst für’s Ende aufgespart und das ist die Coverversion von „Chop Suey“ der legendären System of a Down. Dass dieser Song überhaupt gecovert werden kann, hätte ich vor ein paar Jahren noch vehement abgestritten. Coppelius schaffen es aber mit Klarinetten, Cello, Kontrabass, Schlagzeug und Gesang eine Version dieses Meisterwerks abzuliefern, bei der man sich schlussendlich doch dabei ertappt, wie man plötzlich wieder laut grölend und singend im Auto sitzt, wie man es vor all diesen Jahren mit 14 oder 15 getan hat, als man anfing, „andere“ Musik für sich zu entdecken.

220 Jahre Coppelius sind natürlich eine Hausnummer und auch wenn ich mir wirklich Sorgen mache, dass einige der neuen Stücke nach Abschied klingen könnten: Wenn SO „Abwärts“ klingt, braucht Aufwärts wirklich keine Sau mehr! Coppelius sind eine dieser Bands, in deren Musik man sich völlig verlieren kann, die einen bei den schönsten Begebenheiten wie der eigenen Hochzeit begleiten oder durch die tiefsten Täler bringen kann. „Coppelius hilft!“ ist mehr als ein Ausruf von enthusiastischen Fans – es ist Ausdruck einer in ihrem Klang und ihrer Gestaltung einzigartigen Musik. Und das neue Album ist eine perfekte Widerspiegelung dessen!

Ben