Neulich habe ich irgendwo in den Weiten des Internet ein schön doofes Bild gefunden. Die Textunterschrift lautete in etwa wie folgt: „Der Jahresrückblick 2020: Günther Jauch in Nahaufnahme in der Kamera wie er ein Mal laut ‚Fick dich!‘ brüllt und sich anschließend 2 Stunden alleine auf der Couch voll laufen lässt.“ Soweit so verlockend. Und halleluja, dieses Drecksjahr hatte es wirklich so sehr in sich, das man sich mitunter fragt wieso Doc Brown uns eigentlich nicht vor dieser Scheiße gewarnt hat. Jedoch hilft das Ganze Jammern und das gehortete Klopapier einem ja auf Dauer auch nicht. Deswegen ist es dringend notwendig, auch mal die positiven Dinge in 2020 zu beleuchten.

Und scheiße, verflucht „Schwarzes Gold“ von den sympathischen Jenaern Brechraitz ist genau das, was dieses Jahr aufwerten kann. Hier ist der Name mehr Programm als bei „Bares für Rares“! Hier wird kräftig auf die Kacke gehauen, Wut raus geschrien, Geschichten erzählt und kräftig Durst erzeugt!

„Durstig und lange noch nicht satt, Brechraitz auch in deiner Stadt, arroganter als zuvor hau’n wir euch Punkrock auf das Ohr!“

Und streng genommen, kann man nach dem Hören der ersten Zeilen aus „Horrorshow“ diese unfassbar professionelle und reflektierte Rezension so beenden. ´nough said, sozusagen.
Selten habe ich einen treffenderen Song gehört, um eine Band und deren Fans zu beschreiben. Irgendwie grob, ein bisschen wahnsinnig aber verdammt spaßig und echt durstig. (An dieser Stelle sollte ich mir endlich mal ein Bier aufmachen). „Wir spielen auch für Bier & Sprit, die Leute bringen wir selber mit!“ Brechraitz schaffen es noch besser als bei ihrem Erstlingswerk „Ein Treffen mit dem Pabst“ in absolut geradliniger und ehrlicher Manier fettesten Streetpunk zu servieren.
Und trotzdem haben sich die Jenaer an den entscheidenden Stellen deutlich weiterentwickelt. Das gesamte Klangpaket ist einfach noch treibender, noch enthusiastischer und an den passenden Stellen auch einfach notwendig dreckiger als die Debütscheibe. Außerdem sind die Gitarrenriffs und -soli teilweise richtig fiese Genialitäten. Dabei erwartet den geneigten Hörer außerdem eine wahre Achterbahnfahrt aus Themen und Geschichten, die schon nach dem ersten Hören hartnäckiger in den Gehörgängen kleben bleiben als Atilla Hildmann in den Medien.

„Steh auf“ ist eine Art musikalischer Arschtritt, der aber nicht vergisst, deutlich zu machen wie positiv es sein kann endlich was auf die Beine zu stellen. „Narben meiner Stadt“ zeugt von einer gewissen Hassliebe bzw. einer Verantwortung für den Ort, der einen ein Leben lang geprägt hat. „Good Night White Pride“ ist ein wütender Batzen Gerumpel, der genau so raus geschrien werden muss, wie er ist. „Leben für Lau“ erzählt die unglaublich geheimen und witzigen Tricks und Kniffe um auch vor dem Monatsende noch ein fettes Leben zu führen. „Keine Angst“ ist ein musikalisches Bollwerk aus Mut und positiver Hartnäckigkeit. Und „Laut & Leise“: fast schon eine Liebesgeschichte. Und das ist nur eine kleine Auswahl, aus den insgesamt 13 Songs. Durch das gesamte Album zieht sich ein richtig dicker Strang aus positiver Energie, Unnachgiebigkeit, Witz und einer Prise Wut. Streetpunk 2020 meine Damen und Herren!

Und die zwei eigentlichen Highlights verstecken sich. meines Erachtens, am Ende einer enorm starken Platte. „Schwarzes Gold“ ist eine Liebeserklärung an diesen einen Song, dieses eine Album, welches man schon nach dem ersten Hören mit nach Hause nehmen will und das man auch nach etlichen Monden immer wieder auf den Ohren hat. Ich persönlich fand ja schon „Nur für Sie“ vom Debütalbum stark, aber „Schwarzes Gold“…meine Herren. Und dann berlinert auch noch Willie von den Oxos mit drin rum. Wer diesem Song nichts abgewinnen kann, hat nie geliebt. So jetzt hab ich’s gesagt!
Das zweite Highlight ist „Stay Strong“. Beim ersten Hören hatte ich eine Erpelpelle um die mich selbst Donald Duck beneidet hätte. Vielleicht weil die hier erzählt Geschichte für mich aus privater Geschichte heraus so nachvollziehbar ist. Vielleicht weil ich die „Stay Strong“-Plakate, die einen kleinen Teil des Anreizes für diesen Song reflektierten, bei den St.Paulispielen gesehen habe. Vielleicht aber auch weil dieser Song so verflucht positiv und so verdammt gut ist. Für mich der heimliche Höhepunkt einer 34-minütigen Glanzleistung.

„In manchen Zeiten nah am Limit – am Ende im Glück daheim […] In manchen Zeiten schwere Tränen – zu dritt nie mehr allein. […] Ob dunkle Nacht, ob heller Tag – wir singen laut: Stay Strong!“

„Schwarzes Gold“ ist für mich nicht nur ein solches Erlebnis weil 2020 so kacke war. „Schwarzes Gold“ ist eine Scheibe die dich durch schwere Zeiten schleppt, ein Lächeln zaubert, durstig macht und Mut erzeugt. Die Platte ist Punkrock wie er sein muss: straight forward, ehrlich, rau und keine Scheu vor Anspruch. Vielleicht hätten die drei etwas humorvolleren Songs nicht alle hintereinander kommen müssen, aber das ist auch nur Korinthenkackerei par excellence.  Brechraitz haben hier was abgeliefert, an was sich andere Scheiben in meinem Player werden messen lassen müssen. Das Einzige was nach der knappen halben Stunde dann noch bleibt ist wohl: „Spiel den selben Song nochmal!“ und werde Brechraitz-Jünger! Fuck yeah!

 

Ben