Über 4 Jahre ist es her, seit ich das letzte Mal über ein neues Album von Coppelius schreiben konnte. In der Zwischenzeit gönnte sich die Band eine kreative Schaffenspause (welche sich sicher nicht nur für mich so anfühlte, als wäre ein langjähriger Freund in ein anderes Land umgezogen), brachte eine Steampunkoper auf den Weg und wechselte (sehr zu meinem Bedauern) Ende letzten Jahres mit Nobusama ihren Schlagzeuger (welcher mittlerweile von Herrn Linus von Doppelschlag ersetzt wurde). Man möge mir also bereits im Vorfeld etwaige Ausschweifungen in meinen Ausführungen verzeihen! Die Kurzversion für Lesefaule: großartige CD, kauft sie (und am besten alle anderen Coppelius-Alben auch)!

Nun also sind die 6 Herren aus Berlin also zurück und gewähren einen musikalischen Einblick in ihr „Kammerarchiv“ – was vielerorts als „Rundreise durch die coppelianische Schaffenszeit“ bezeichnet wird. Das ist natürlich Schwachsinn, da die Band ihre frühen Werke der über 200 jährigen Geschichte gar nicht mehr so häufig spielt!

Spaß beiseite: „Kammerarchive“ präsentiert einige alte Werke in neuem Gewand, Coverversionen von durch andere Künstler bekannten Songs, wie auch einige neue Nummern und bringt endlich einige Stücke aus der bereits erwähnten Oper ins heimische Wohnzimmer. Als besonderes Schmankerl gibt es außerdem ein paar erste Lieder aus der anstehenden neuen Oper „Krabatt“ preis.

Interessanterweise ist „Kammerarchiv“ für mich das erste Coppelius Album seit über 15 Jahren, welches mich nicht direkt beim ersten Hören völlig aus den Latschen gewatscht hat. Vielmehr brauchte es diesmal einige Durchgänge und manchmal auch ein etwas feineres Ohr, um die wahre Stärke der CD zu erkennen. Zum einen lag dies sicher daran, dass die neuen Versionen der eigenen Songs ja schon bekannt waren. Und weil ich leider zugeben muss das ich speziell bei meinen Lieblingsliedern „I get used to it“ und „1916“ wohl nie etwas anderes als die urst phänomenalen „Originalversionen“ akzeptieren werden kann. Leider konnte mich auch das Tom Waits Cover von „Way down in the hole“ nicht überzeugen – was aber wohl einfach daran liegt das ich mit Waits noch nie Etwas anfangen konnte.
Zum anderen – und darauf brachte mich eine gute Freundin – hätte eine gewisse zeitliche „Ordnung“ im „Kammerarchiv“ meiner Ansicht nach geholfen, die CD für solch unbeholfenen Typen wie mich irgendwie strukturierter klingen zu lassen. Und wer sich an dieser Stelle denkt: „Samma, säuft der Typ? Was ist denn das für eine Kritik?“ der mag nicht so sehr daneben liegen. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes, Heulerei auf allerhöchstem Niveau.

Das neue coppelianische Schaffenswerk ist abseits dieser Kleinigkeiten nämlich wieder mal ein kleines Meisterwerk geworden! Insbesondere die Opernstücke offenbaren dabei eine fast ganz neue Seite an der Musik und es war streng genommen längst überfällig, dass die Stücke aus der Steampunkoper „Klein Zaches“ endlich auf Tonträger erscheinen. Das erste Highlight kommt hier quasi direkt zum Start mit „Kein Land so schön“. Dieser Song treibt einen an, bringt die Beine in Bewegung und lässt das Gesicht sich automatisch zu einem dümmlich-glücklichen Grinsen verziehen. Der geneigte Hörer wird hier auch direkt einer der für mich größten Stärken von Coppelius gewahr: das Geschichtenerzählen! Mal ernster, mal flapsiger, mal düster – und fast immer mit diesem gewissen Augenzwinkern werden Geschichten von neuen Herrschern (wie im besagten Song), klugen Männern, Träumen und großen Persönlichkeiten erzählt! Durch die typische Untermalung von fantastischen Kompositionen aus Klarinetten, Cembalo, Kontrabass, Cello und Schlagzeug entsteht so auch beim Öffnen der „Kammerarchive“ etwas komplett Einzigartiges. Und für mich – der diese Band aktiv seit circa 2003 verfolgt – immer wieder etwas das einen tief empfundene Dankbarkeit für diese Musik empfinden lässt!

Den absoluten Höhepunkt erreicht das Album jedoch gegen Ende der beinahe 60 Minuten (!!!) Spielzeit. Zunächst überrascht einen „Zeit und Raum“ – ein so fantastischer und facettenreicher Song, dessen Art und Weise ich so bisher von Coppelius noch nicht wirklich kannte! Als nächstes dann das großartige „Was war denn das?“ aus „Klein Zaches“. Witzig, rasant und mit einer Laufzeit 1:30 Minuten voll auf den Punkt. Interessant finde ich hier auch die coppelianische Version des klassischen „Ruf-Antwort-Prinzips“:

„Das ist der rettende Magicus! Nee das ist der Doktor Prosper Alpanus! […] Fabian vertraue mir! Das ist unser Mann! Mein lieber Balthasar! Ich seh‘ nur einen ausgemachten Scharlatan!“

Und dann. Ja und dann. Dann offenbaren die Herren einen Song, der mich dann doch direkt umgehauen hat. „Aus den Betten“ ist ein Stück, welches es vermutlich in der nächsten Oper „Krabatt“ zu hören geben wird. Und meine Fresse, was für eine Nummer. Man sieht förmlich die jungen Mühlenburschen des Nachts schwere Säcke voller Knochen durch die Mühle schleppen und diese zu feinem Mehl verarbeiten. Über alledem schwebt dann immer wieder die mahnend-aufziehende Stimme und versucht die Arbeiter zu noch mehr Leistung zu bewegen. Für mich nicht auf „Kammerarchiv“ ein absoluter Meilenstein – sondern vielmehr einer der Stärksten Coppelius-Songs überhaupt. Dass diese Nummer dann auch noch in bester Manier von Le Comte Caspar in seiner fantastischen tiefen Stimme vorgetragen wird, ist dann auch noch die Kirsche auf dem riesen Eisbecher aus großartigen Tönen, die dieses Lied für mich ist!

Alles in Allem lässt sich festhalten, dass „Kammerarchiv“ für mich beim ersten Hören ein beinahe „untypisches“ Coppelius Album ist, wobei es gleichermaßen die Brücke zwischen musikalischer Vergangenheit und Zukunft schlägt. Die Scheibe wirkt auf mich bestens geeignet neuen Hörern einen tollen Überblick über die vielen Gesichter des coppelianischen Kammercore präsentieren zu können, während sie gleichzeitig auch bei gestandenen Fans offene Türen einrennt. Durch die ferner vorhandenen Coverversionen von Iron Maiden, Tom Waits, Motörhead und sogar System of a Down, kann ich mir auch gut vorstellen, dass diese CD auch Leute begeistern könnte, die normalerweise gar nichts mit dieser Art Musik am Zylinder haben.

Zu guter Letzt bleibt noch zu sagen, dass leider einige Tage nach Release Rüdiger Frank – der Schauspieler aus „Klein Zaches“ – verstorben ist. Damit hinterlässt er mit „Kammerarchiv“ – auf welchem seine Stimme bei einigen der besten Lieder zu hören ist – der Welt ein ganz besonderes und eigenes Vermächtnis. Möge er an einem Ort mit endloser guter Musik ruhen!

Coppelius hilft!

Ben