Mein Hintergrundwissen im Bezug auf klassische Musik, hält sich in Grenzen. Ich kenne ein paar Stücke von Vivaldi, Beethoven und Tschaikowski und ich weiß gerade noch so, dass Mozart keine Plombenzieher verkauft hat. Dem Genre gegenüber offen bin ich jedoch allemal. Ob mich das dabei beeinflusst hat, als ich das neue Carpe Noctem Album „Schattensaiten“ gehört habe? Vielleicht. Ist aber eigentlich auch völlig bums, denn nach dem fünften oder sechsten Mal hören, kommt mir langsam der Verdacht dass ich hier eine DER Scheiben 2016 in den Händen halte.
Auch wenn die Jungs den Vergleich mittlerweile wohl eher scheuen, aber Metal mit klassischen Instrumenten, insbesondere Cello, kennt man seit den glorreichen Zeiten von Apocalyptica. Was die fünf Jenaer da aber mit ihrem String-Metal abliefern ist für mich schlicht ein Meisterwerk, das die langhaarigen Finnen hupend und johlend auf der linken Spur überholt.
Einfach nur der Hammer. Unfassbar abwechslungsreich und mit tonalen Emotionen die sich da munter die Klinke in die Hand drücken. Eben irgendwie wie ein „Requiem“ sein soll: traurig, witzig, stolz und schön.
Auch wenn der Opener noch ein wenig vom Gaspedal weg bleibt, bekommt man gleich danach mit „Blick über die Klippen“ einen so verflucht vielsaitigen (T’schuldigung) Song um die Ohren gehauen, dass sich einem eine völlig neue Welt öffnet. Dabei gelingt es den Nachtnutzern absolut hervorragend nur mit Klängen Bilder zu malen, die vor dem inneren Auge wie ein kleiner Film ablaufen. Fantastisch! „Maskerade“ kommt im Gegensatz fast schon mit „mittelalterlichem“ Rhythmus daher, für den es sicher irgendeine treffende Bezeichnung aus der Klassik gibt, die ich aber dank meines Halbwissens nicht kenne. Egal, stampft schön vor sich hin und hat einen phänomenalen ruhigen Part, der direkt von einem wilderen wieder abgelöst wird. Als würde man sich ‘ne Maske aufsetzen. Zum Schmachten.
Das Album läuft durch die Bank weg in Rhythmen weiter, die sowohl zum Haare schütteln, als auch zum Träumen und Tanzen einladen. Das Portfolio weißt von Melancholie bis Heiterkeit so ziemlich alles auf und speziell das Zusammenspiel aus Geige, Schlagzeug und Cello schafft es dabei immer wieder zu begeistern und einen von den Socken zu hauen, wenn sie schon wieder eine neue Variation in die Songs einbringen. Fast als würde einem da immer wieder jemand heimlich, aber dröhnend laut „Obacht!“, in die Ohren brüllen. Und einen direkt im Anschluss packen und vor eine Bühne zerren, wo man sich dann richtig verausgaben kann.
Im hinteren Drittel der CD kommen mit „Tavernenspiel“ und „Requiem“ zwei weitere Highlights. Ersteres in einem beschwippst-fröhlichen Ton, gemischt mit einer Prise ernsterem Unterton, fast so als würde man mit den Kumpels in der Kneipe bei zu viel Hopfenbrause richtig schönen Blödsinn verzapfen während am Nebentisch zwei Andere die aktuelle Politik diskutieren. „Requiem“ dagegen ist für mich das persönliche Nonplusultra der Scheibe. Einfach nur der Hammer. Unfassbar abwechslungsreich und mit tonalen Emotionen die sich da munter die Klinke in die Hand drücken. Eben irgendwie wie ein „Requiem“ sein soll: traurig, witzig, stolz und schön. Hab ich eigentlich schon mal erwähnt wie fett ich „Schattensaiten“ finde?
Bewusst ausgelassen habe ich übrigens die beiden Stücke, welche in Zusammenarbeit mit den nicht minder fantastischen Coppelius entstanden sind. „Das Gift der Spinne“ und das SOAD-Cover „Toxicity“ sind grandios, aber wenn ich die jetzt noch ausführe, gehen mir die Adjektive aus.
So bleibt festzuhalten das Carpe Noctem zum Ende des Jahres nochmal ein ganz, ganz dickes Ding rausgehauen haben. Eine musikalische Meisterleistung die einen in eine komplett neue Welt entführt, selbst wenn man mit derartiger Musik schon gewisser Maßen vertraut ist. Und das Schönste daran: bei jedem Mal hören, entdeckt man ständig neue Facetten und die Bilder vor dem inneren Auge sind sicher von Mensch zu Mensch völlig unterschiedlich. Und das, so weit reicht meine Musikerfahrung dann wieder, macht sowas von Lust auf Binge-Hören, das glaubt ihr nur, wenn ihr es selber ausprobiert habt.
Ben