„Pestizid“ ist nur eine EP, erzeugt aber einen mitreißenden Sog, den die meisten Rapper nicht mal auf einem Konzept-Album zustande bringen. Der Sound ist düster und atmosphärisch, die Beats leben von schweren Synthies und sind hervorragend arrangiert. Dissy’s Flow ist vielseitig: in den Strophen mal geradlinig, mal stakkatohaft, in den Hooks häufig als Singsang, doch nie poppig oder schmalzig. Klanglich greift hier alles in einander und obwohl ich auf anderen CD’s dazu neige, bestimmte Songs, Interludes und Skits zu überspringen, höre ich diese EP immer von vorn bis hinten durch!

Am beeindruckendsten für mich waren auf „Pestizid“ aber die Lyrics, die unsere Gesellschaft auf spektakuläre Weise sezieren. Es gibt hier keine plakativen Vergleiche oder stumpfsinnige Phrasen. Dissy schreibt innovative Punchlines, die einerseits unterhalten, weil sie den Zeitgeist einfangen, andererseits diesen aber auch in Frage stellen. Ein Beispiel aus dem Song „Kids“:

„Anarchie hat hier nicht mehr Bedeutung als YouPorn-Bräute / Fuck The System ist nur ‘ne Floskel auf deinem Jute-Beutel.“

 

Überhaupt wird man das Gefühl nicht los, dass diese Texte weit tiefer gehen, als man anfangs vermutet. Sie kritisieren eine halbgare Gesellschaft, die sich nach Veränderung sehnt, es sich aber längst in den Zuständen bequem gemacht hat. Im Outro bringt es Dissy auf den Punkt: „Die Tür steht offen von meinem goldenen Käfig / Doch wir geh’n nicht weg von hier und rebellier’n so hobbymäßig / Verwechseln Lebensfreude mit so hartem Zeug / Stehen danach enttäuscht am Fenster, himmel blau und blasses Gold.“

Dissy’s Texte sind reich an Metaphern und sprachlichen Bildern, ohne jedoch Klischees zu bedienen.

 

So trägt der einzige Lovesong – wenn man ihn denn als solchen bezeichnen kann –  den gleichen Titel wie die EP und ist eigentlich ein Abgesang auf die Liebe. Doch es ist nicht alles düster und bedrückend. Der Song „Hook“ überrascht mit witzigen Wendungen und „Trash“ hat Ohrwurmqualitäten und zappt sich mit originellen Lines durch die Medienwelt: „Angela Merkel dreht den Swag auf / Südeuropa ist broke, Peter Zwegat sieht entsetzt aus.“

„Pestizid“ ist eine der besten deutschsprachigen Rap-Platten, die ich kenne und durch und durch stimmungsvoll. Beim aufmerksamen Hörer hinterlässt sie tiefe Eindrücke. Dissy macht keinen 08/15-Rap und wird über kurz oder lang aus der Masse hervorstechen. Eine absolute Empfehlung!

Andreas